machtlos, überspahnt, depressiv, einsam
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machtlos, überspahnt, depressiv, einsam

Ein Geständnis zu Beginn: Meinem Beitrag über das Intensivpflegestärkungsgesetz des Bundestags (IPReG) von letzter Woche fehlte noch ein Kapitel.

Meine Entscheidung, das abschließende Kapitel über meine persönlichen Empfindungen, Selbstzweifel und Emotionen in der Zeit des Widerstands auszulagern, fiel sehr kurzfristig, aber die Zusammenfassung war ohnehin schon zu lang meines Erachtens.

IPReGged out

Ehrlich gesagt musste ich mich vergangene Woche schon überwinden, noch einen abschließenden Beitrag über das Gesetz zu schreiben. Meine Unmotiviertheit diesbezüglich habe ich auch auf Twitter zum Ausdruck gebracht kurz nach Verabschiedung.

Ich bin trotzdem froh, den oben verlinkten Beitrag noch geschrieben zu haben. Nicht nur, dass diese Beiträge von mir (sei es hier oder in sozialen Medien) in letzter Zeit mit Abstand die meiste Resonanz erfahren haben, auch aus meiner rein subjektiven Sicht fühlte es sich ganz einfach falsch an, die erfolgten Änderungen in letzter Sekunde und die aus meiner Sicht beschämende abschließende Debatte sowie Abstimmung im Bundestag nicht zu kommentieren.

Froh bin ich allerdings, dass ich die Möglichkeit hatte, die Erörterung des Gesetzes in großen Teilen nicht schriftlich, sondern im Podcast meiner Freunde von stream-politik vorzunehmen. Neue Menschen, vielleicht ein bisher neues Publikum und ein für mich neues Format sind für sich genommen schon eine beachtliche Motivation, um sich doch noch einmal mit den Details des Gesetzes auseinanderzusetzen.

Was mir jedoch immer stärker zusetzt, ist nicht einmal das Endergebnis bzw. das, was es eventuell für mich und meine selbstbestimmtes Leben mit Assistenz bedeuten könnte (diesbezüglich laufen bereits, zum Glück bisher in meinem Fall konstruktive, Verhandlungen mit Pflegedienst und Krankenkasse).

Es sind die Evolutionsgeschichte des IPReG und die Grundhaltung, die allen bisherigen Entwürfen des Gesetzes, insbesondere natürlich dem ursprünglichen RISG, zugrunde lag.

Wir, also Gesetzgeber, Krankenkassen, nach unserem Gusto auserwählte Fachverbände – wir wissen besser als ihr, was gut für euch Beatmete ist. Wohl gemerkt als Kollektiv. Und da ihr alle Ressourcen verbraucht, muss der Staat einschreiten und Abwägungen treffen, damit alle versorgt werden können.

(Diese Prämisse ist selbstverständlich schon falsch, es geht letztendlich nur um die erwünschte Einsparung monetärer Kosten. Meine persönlichen Assistenten sind keine Intensivpflegefachkräfte und dementsprechend nehme ich derzeit vollstationären Intensivpflegeeinrichtungen exakt gar keine Ressourcen weg.)

Es ist genauso die Tatsache, dass Bundesgesundheitsminister Spahn in der abschließenden Debatte einfach dreist behaupten konnte, er hätte aus den Erfahrungen betroffener Menschen viel gelernt und mitgenommen, obwohl er kaum mit den Selbigen gesprochen hat und selbst nicht alle in dieser Hinsicht wichtigen Verbände von ihm angehört worden sind. Diese Aussage wurde jedoch von keinem Mitglied des Bundestags herausgefordert. Ganz so, als hätte diese Protestaktion vor dem Brandenburger Tor in Berlin niemals stattgefunden:

Foto: GIP ambulante Intensivpflege

Das Gefühl, entweder nicht zu existieren oder, dass diese Inexistenz zumindest in manchen Situationen/Kontexten von Teilen der Gesellschaft insgeheim gewünscht wird, ist für mich leider kein seltenes und auch kein neues Gefühl muss ich gestehen.

Depression und Behinderung – und, nicht wegen

In dieser Woche erschien dieser wichtige und mutige Beitrag meiner Blogger-Kollegin Tanja Kollodzieyski über das Zusammenspiel von Depression und Behinderung. Vor diesem Hintergrund, obwohl ich zumindest im näheren persönlichen Umfeld bereits seit vielen Jahren relativ offen damit umgegangen bin, möchte ich auch hier einer neuen Öffentlichkeit darlegen: Ja, auch ich bin depressiv.

Meine erste (und wahrscheinlich auch bislang stärkste) depressive Episode hatte ich schon Ende 2009, zufälligerweise ziemlich genau zu der Zeit, als das Thema durch Robert Enke kurzzeitig eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr. Erst im Frühjahr 2012 holte ich mir allerdings auf dringliches (!) Anraten einer damaligen Freundin, mit der ich heute seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr habe, professionelle Hilfe. Auch erst in diesem Rahmen wurde mir die offizielle Diagnose „Depression“ bescheinigt, welche im Rahmen einer zweiten Therapie 2015 auch noch mal bestätigt wurde.

Zum Glück genügen mir heute, in etwas unregelmäßigeren Abständen, Gesprächstermine bei einem Psychiater. Aktuell geht es mir auch zum Glück mal wieder besser, wobei sich dieses „Bessergehen“ nicht, wie bei vielen anderen Menschen, in einem verstärkten Tatendrang äußert. Eher in einer gewissen emotionalen Grundentspanntheit, die ich zwar für kein Geld der Welt wieder hergeben möchte, die ich allerdings erfahrungsgemäß garantiert innerhalb von ein paar Wochen wieder verlieren werde.

Nein, dies ist weiß Gott keine öffentliche Therapiesitzung (habe ja erst übermorgen wieder eine^^) und ich habe heute auch gar kein besonderes Mitteilungsbedürfnis, vor dem Hintergrund der emotionalen Folgen der IPReG-Debatte hielt ich diese Klarstellung jedoch für angebracht.

Das Zusammenspiel von Behinderung und Depression ist, wie Tanja allerdings schon geschrieben hat, komplexer als dies typischerweise in Filmen, Kurzdokumentationen etc. porträtiert wird. Stichwort traurige Klaviermusik – hiermit ein eindringlicher Hinweis an alle Medienmenschen unter euch:

Wenn ich die Macht hätte, auch nur ein mediales Stilmittel für alle Zeiten zu verbieten, dann wäre es das, behinderte Menschen mit trauriger Klaviermusik zu untermalen!

(oder, anders aber ähnlich schlimm, Zirkusmusik wie vor einigen Jahren in diversen internationalen Varianten der Sendung „Undateables“ geschehen)

Unabhängig voneinander sind die beiden natürlich trotzdem nicht. Leider muss ich beispielsweise rückblickend gestehen, überhaupt keine unglückliche, aber doch eine eher einsame Studentenzeit verlebt zu haben. Warum ich nicht zu den typischen Partys, Spiele- oder Trinkabenden etc. eingeladen worden bin? Hier spielte sicherlich meine Behinderung und verwandte Themen wie Barrierefreiheit und Platzbedarf, manchmal auch schlicht und ergreifend die praktische Organisation der Assistenz, keine geringe Rolle. Warum ich mich selbst nicht zu ähnlichen Veranstaltungen eingeladen oder diese gar organisiert habe? Hier kommt jetzt leider die Depression und meine generelle Unsicherheit/Ungeschicktheit in sozialen Interaktionen ins Spiel.

Zwei Komponenten, die sich im Alltag leider so gut vertragen wie Wasserstoff und Sauerstoff.

Das gewichtigste Symptom einer depressiven Episode ist aber in meinem Fall die Antriebslosigkeit. Die Selbstvorwürfe, aus den Voraussetzungen, die einem durch die harte Arbeit vieler Menschen überhaupt erst geschaffen wurden und noch heute geschaffen werden, nicht das herauszuholen, was möglich wäre. Deswegen muss ich auch ehrlich sagen, dass ich zwar mit vielen Akteuren derselben befreundet bin, aber mit der „Behinderten-Community“ insgesamt ein eher zwiespältiges Verhältnis pflege. Jahrelang hatte ich leider das Gefühl, dass „Schwäche zeigen“ auch innerhalb dieser Community nicht vollumfänglich akzeptiert wurde. Ich spüre diesbezüglich allerdings in jüngster Zeit eine merkliche Verbesserung muss ich sagen, vielleicht war meine Wahrnehmung in vielen Jahren auch einfach nur von den falschen Menschen (auch wenn ich alle Menschen trotzdem zutiefst bewundere!) geprägt.

Insgesamt bin ich nämlich echt froh über die Menschen, die ich im Rahmen meiner politischen Aktivitäten kennengelernt habe. Newsflash: Ich liebe nach wie vor die Mathematik, aber die kommunikativste Berufsgruppe (und ich schließe mich selbst da keineswegs von aus, im Gegenteil!) waren wir Mathematiker noch nie und werden es auch nicht mehr. 🙂

Glaube nicht, dass ich einer Leserin oder einem Leser mit diesem Statement zu nahe treten werde, ich liebe euch trotzdem!

Aber depressiv zu sein ist beizeiten einfach mega anstrengend, in schlechten Episoden selbst an Tagen, an denen man nichts und wirklich nichts tut! Es „arbeitet“ an diesen Tagen leider einfach unfreiwillig in einem drin.

Ich habe in der Überschrift ein paar Adjektive aufgezählt und manchen, besonders spitzfindigen, Lesern unter euch dürfte bereits aufgefallen sein, dass ich in den Anfangsbuchstaben ein weiteres Adjektiv „codiert“ habe.

Das war kein Zufall und beschreibt auch, wie ich mich trotz derzeit ganz guter Stimmung nach dem Verfassen dieses Beitrags fühle.

Im Sommer 2013 nach einer (erfolgreich!) geschriebenen Klausur am Aasee in Münster

Immerhin werde ich mir gleich etwas Leckeres (Lachsfilet mit frischem Spinat!) kochen und danach eine Runde Bridge mit meiner Familie spielen, auf die ich mich ebenfalls freue =)

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