30 teils „luftige“ Sätze – Stellungnahme eines Dauerbeatmeten
rptnb

30 teils „luftige“ Sätze – Stellungnahme eines Dauerbeatmeten

Heute befinde ich mich an einem Ort, der seit vielen Jahren für mich zum Glück keinen gewöhnlichen Aufenthaltsort mehr darstellt: in einem Krankenhaus.
Allerdings nur für eine einzige Nacht und freiwillig, da meine chronische Grunderkrankung Spinale Muskelatrophie nicht heilbar ist, aber ihre Progression durch regelmäßige Gabe eines Medikaments ins Nervenwasser verlangsamt werden kann. Ich habe erst vor dreieinhalb Stunden mein „Doping“ in den Rücken gespritzt bekommen. Leider reicht es immer noch nicht für den Gewinn der Tour de France.

Heute vor 30 Jahren war ich ebenfalls in einem Krankenhaus, jedoch weit weniger freiwillig. Ich war 4 Jahre alt und lag intubiert auf einer Kinderintensivstation. Leider schon zum fünften Mal in diesem Jahr. Die akute Pneumonie, die mich dorthin gebracht hat, hatte ich gerade überstanden, aber meine körperliche Verfassung verschlechterte sich zusehends und wahrscheinlich wäre die nächste oder übernächste Infektion damals bei mir nicht gut ausgegangen. Ich habe keine belastbaren Statistiken, aber leider schaffen es noch heute viele Kinder mit Spinale Muskelatrophie Typ 1 nicht bis zu ihrer Einschulung. Auch wenn dieser Anteil zum Glück rückläufig ist.

Die Ärzte haben meine Eltern damals vor die unmittelbare Entscheidung gestellt, mir nach der Infektion einer Luftschnitt legen und mich beatmen zu lassen, damit sich nicht länger jede Infektion auf die Lunge ausbreitet. Eine Beatmung durch die Nasenmaske wurde zwar seit Februar versucht, hatte aber offensichtlich nicht den gewünschten Effekt und ich habe sie gehasst.
Zum Glück hatten wir ein sehr vertrauensvolles Ärzteteam, das insbesondere meinen Eltern neben Gefahren auch viele Chancen und Möglichkeiten aufgezeigt hat. Ich war fasziniert von Zahlen und wollte später unbedingt Mathematik studieren. Die Trachealkanüle war die einzig realistische verbliebene Möglichkeit, dorthin zu gelangen.

Ich bin froh, dass mir zum größten Teil schon damals reiner Wein eingeschenkt wurde: „Wenn du Montagmorgen einschläfst, schneiden wir dir ein Loch in den Hals“. Dieser Montag war der 29. November 1993. Was glaubt ihr, wie ich mich dagegen gewehrt habe, einzuschlafen. Wohl oder übel vergebens.

Die Phase nach der OP war schwierig und teilweise schmerzhaft, aber nicht mehr geprägt von lebensgefährlichen Infektionen. Allerdings waren mehrere chirurgische Nachbesserungen vonnöten bis 1995 entschieden wurde, das Wechselintervall der Trachealkanüle erheblich zu reduzieren. Es war bis heute meine letzte OP in diesem Körperbereich.

Seitdem ich im Sommer 1994 vollständig nach Hause entlassen wurde (tagsüber schon wesentlich früher), entsprechen meine Erinnerungen weitestgehend einer „normalen“ Kindheit, die ich vorher keineswegs hatte.

Obwohl ich inzwischen mehr Menschen kenne, die auch mit invasiver Beatmung selbstbestimmt leben, als ihr an beiden Händen abzählen könnt (ich sowieso), habe ich in den 30 Jahren seither von anderen Eltern, aber leider vor allem von Ärzten und Politikern, Sätze gehört, von denen ich jetzt zum Anlass meines eigenen Jubiläums 30 herausnehmen und kurz kommentieren möchte. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass viele der Beispielen nie Mehrheitsmeinung waren und manchen stimme ich auch zu. Natürlich werde ich auch niemals individuelle medizinische Ratschläge geben können und meine Perspektive ist eine unter vielen.

1. Menschen mit Trachealkanüle können nicht mehr sprechen

Am häufigsten gehört und wahrscheinlich am verheerendsten, weil ich schon mitbekommen habe, dass Menschen sich in absoluten Notsituationen aus diesem Grund gegen die Trachealkanüle und somit im schlimmsten Fall für ein vorzeitiges Lebensende entscheiden wollten.
Tatsächlich spreche ich heute, natürlich ein bisschen abhängig von der aktuellen Körperposition und Sekretlage, lauter wie als Kind und oft auch lauter als Menschen mit meiner Grunderkrankung, die noch nicht beatmet werden.
Das alles ist wohl gemerkt keine körperliche Leistung meinerseits, sondern ich habe schlicht auch meine Einstellungen, insbesondere die Inspirationszeit, ziemlich darauf ausgelegt, siehe unten.

2. Menschen mit Trachealkanüle können nur noch mit einer Sprechkanüle sprechen

Das ist heutzutage häufiger und etwas besser natürlich, aber immer noch nicht ganz korrekt.
Manche Menschen mit nicht beeinträchtigter Muskelkraft brauchen dazu nicht einmal Sprechhilfen, da sie die notwendige Luft mit verschiedenen Techniken selber verschlucken. Das war für mich persönlich mangels jeglicher Muskelkraft nie eine ernsthafte Option, ist aber die „sauberste“ Variante, da der Atmungstrakt hierbei in sich geschlossen bleibt.
Darüber hinaus gibt es aber noch, teils sehr unterschiedliche, Sprechventile die das entweichen von Luft über die Kanüle teilweise oder ganz blockieren und ergänzend zu einer Sprechkanüle eingesetzt werden können.

Zu guter Letzt gibt es am anderen Ende des Spektrums das Leckagesprechen mit einer ungeblockten Kanüle, entweder ebenfalls mit Sprechventil oder während der Einatmung. Da ich nur für mich persönlich Sprechventile nicht ausstehen kann (das Gefühl, seinen eigenen CO2 nicht schnell loswerden zu können, kann schnell beängstigend wirken), habe ich mich zwei Monate nach der OP damals selbst angewöhnt, nur noch bei der Einatmung zu sprechen und bin nie mehr davon weggegangen. Dies ist medizinisch aus mehreren guten Gründen die schlechteste Variante, aber eben auch die, die je nach Einstellungen bis zu Null Muskelkraft einfordert.

Über eine Kombination aus Leckagesprechen und Sprechventil ist sogar eine komplett durchgängig flüssige Sprache während der Beatmung möglich. Ich habe es ein paar Mal ausprobiert wenn der Sekret zufällig fast genau wie ein Sprechventil gewirkt hat und es macht Spaß, aber das kommt selten vor und ist dann eher ein witzige Kuriosität. Das faule Ich, das seine schon nicht vorhandenen Muskeln auch noch nicht sehr gerne arbeiten lässt, hat weder Sprechkanüle noch Sprechventil und macht heute 100% Leckagesprechen bei der Einatmung.

3. Tracheotomie beschädigt/zerschneidet die Stimmbänder

Das kann tatsächlich bei einem notfallmedizinischen Eingriff passieren, da die Luftröhre auf Höhe des Kehlkopfes in wenigen Sekunden zugänglich ist. Diese Prozedur heißt jedoch Koniotomie.

Tracheotomie findet eigentlich immer ein gutes Stück unterhalb der Stimmbänder statt.

4. Menschen mit Trachealkanüle dürfen nicht mehr oral essen und trinken

So pauschal ist das Quark. Und der ist sogar ganz gut essbar.

5. Eine Trachealkanüle erfordert immer auch eine PEG zur Ernährung

Viele schwerbehinderte Menschen nutzen tatsächlich beide Hilfsmittel ganz erfolgreich.
Dass immer mehr Kliniken die beiden aus Prinzip nur noch zusammen anlegen, sehe ich jedoch kritisch. Ich habe bis heute keine PEG, obwohl sie bei mir mehrfach in Erwägung gezogen wurde. Aber obwohl ich noch untergewichtig bin und es wohl immer bleiben werde, gönne ich mir sehr gerne gutes Essen und auch nicht zu wenig davon.

6. Aspiration (Verschlucken) muss um jeden Preis verhindert werden

OK, ich weiß das ist jetzt leicht gefährliches Terrain auf das ich mich begebe. Ich stimme zu, dass Aspiration eine sehr üble Sache sein kann, sehr unangenehm und natürlich, wenn sie länger unbehandelt bleibt, leider auch ein Infektionsherd. Ich verschlucke mich selber sehr regelmäßig und muss dann oft auch schnell abgesaugt werden (wobei dieser Sekret dann sehr einfach abzusaugen ist immerhin). Ich vermeide Lebensmittel, bei denen es mir zu oft passiert, weil es etwas unangenehm und vor allem echt nervig ist, ein Gespräch mitten im Satz für ein paar Minuten abbrechen zu müssen.

Der Punkt, an dem ich gelegentlich der Lehrmeinung nicht zustimme, ist das „um jeden Preis“. Insbesondere wenn es um die Blockung der Kanüle geht. Auch geblockte Kanülen haben ihren Sinn und ihren Platz, nur reicht „Aspiration verhindern“ als alleiniger Grund für die Blockung mir nur in wenigen Fällen dauerhaft aus.

7. Geblockte Kanülen sind immer besser

Bei nicht verheiltem Tracheostoma oder einem Setting in unveränderter Liegeposition in einem Krankenhaus ja.
Die Korrelation zwischen Laborwerten und Beatmungseinstellungen ist natürlich auch deutlich höher, wenn das System in sich geschlossen ist.
Ich für mich sage ehrlich, dass ich immer gleiche Atemzüge und konstante Laborwerte gar nicht erst anstrebe. Aber wie oben erwähnt, sicherlich haben für einige Menschen geblockte Kanüle und diverse Sonderanfertigungen ihren absolut berechtigten Platz, mir persönlich wird die Blockung leider nur etwas zu sehr zum Default.

8. Natürliche Leckage muss so weit es geht unterbunden werden

Wahrscheinlich eines meiner größten „Pet Peeves“.
Natürliche Leckage, die ich als Patient nicht kontrollieren kann, existiert und kann nerven. Ich muss ab und zu den Raum um das Tracheostoma herum abdichten, eine gewisse Leckage muss ich aber auch tolerieren und meine Beatmung macht auch für Außenstehende hörbare Nebengeräusche. Wer diese anhören möchte: Ich spreche unter anderem in diesem Podcast und gerade an diesem Tag war meine Stimme leider nicht gut und die Nebengeräusche laut.

Natürliche Leckage über Mund oder Nase, die ich selbst kontrollieren kann, liebe ich aber. Ich benutze mindestens die Hälfte meiner Atemzüge auch, um zu „räuspern“ und somit viele Speichel- oder Essensrückstände zu beseitigen, ohne jedes Mal absaugen zu müssen.
Außerdem besitze ich nicht mehr genug Kraft, um selbst vereinzelt tiefe Atemzüge zur Sekretmobilisierung machen zu können. Ja, Beatmungsgeräte sind in der Lage, in voreingestellten Intervallen einen tiefen Atemzug zu machen, aber Timing und Intensität selber zu steuern hat für mich einen besseren Effekt. Da ich meine Atmung jedoch mangels Kraft nicht mehr steuern kann, steuere ich stattdessen meine Leckage. Nicht ganz so gut, aber im Ergebnis auch nicht sehr weit entfernt.

9. Alle Atemzüge sollen gleich aussehen

oder auch:

10. Keine zwei gleichen Atemzüge nacheinander

Beides ist falsch. Viel zu plakativ ausgedrückt, aber wenn ihr Polizist seid und einen Räuber fassen müsst, stellt ihr euch nicht an eine Stelle und wartet, bis der Räuber zu euch kommt, noch läuft ihr hundertmal die exakt gleiche Runde um den Block.

11. Inhalationen immer in festen, regelmäßigen Intervallen

Ja, das tue ich auch weitestgehend. Nicht sehr dogmatisch, aber es herrscht eine gewisse Regelmäßigkeit. Nicht gut hingegen finde ich:

12. Absaugen und Cough Assist in regelmäßigen Abständen

Ehrlich gesagt rollen sich mir hier die Fingernägel.
Absaugen und Cough Assist trocknen bei jedem Einsatz merklich die Atemwege aus. Natürlich sind sie den Preis mehr als nur wert, wenn es Sekret gibt, den sie beseitigen können/müssen.
Aber eben nur, wenn es den im Moment auch gibt.
Einsatz präventiv oder zu einer festen Uhrzeit wirkt bei mir maximal 5 Minuten, trocknet aber genauso aus.

Den Cough Assist habe ich im Jahr 2021 übrigens 12mal therapeutisch eingesetzt, davon 8 an einem einzigen Tag, an dem ich ihn merklich gebraucht habe.

13. Der Patient kann nicht spüren, wann und wo sich Sekret festsetzt

Das hängt natürlich jetzt extrem vom Individuum ab, aber die meisten neuromuskulären Erkrankten in meinem Bekanntenkreis fühlen und lokalisieren das selber sehr früh. Wenn ich angebe, abgesaugt werden zu müssen, impliziert das nicht, dass ich den Sekret erst zu diesem Zeitpunkt bemerkt hätte. Ich habe nur, oft über eine halbe Stunde oder so, versucht, ihn hochzuräuspern und die Anweisung, abzusaugen, ist lediglich ein Eingeständnis, dass ich es diesmal ohne Hilfe nicht schaffe.

14. Absaugen ist schmerzhaft

Als Kind über die Nase als Zugangsweg: Definitiv! Das sind schlechte Erinnerungen.
Heute über die Trachealkanüle: minimal unangenehm, aber das erlösende Gefühl von verschwindendem Sekret gleicht es mehr als nur aus.
Stellt euch das Gefühl am besten so vor als wenn ihr euch jedes Mal erst kurz für ein paar Sekunden verschlucken müsstet, um anschließend abhusten zu können.

15. Zu häufiges Absaugen oder Cough Assist ist schädlich

Ja, das stimmt definitiv, siehe 12.
Allerdings besitzt diese Aussage im Alltag keine Relevanz, da der Sekret in jedem Fall schädlicher ist.

Schätzungsweise wurde ich in meinem bisherigen Leben 55.000 mal abgesaugt.

16. Maximal mit der Hälfte des vollen Sogs absaugen

Nein. Ich habe teilweise sehr schwierigen, zähen und hoch sitzenden Sekret und im Gegenteil, Pumpen für Heimbeatmung sind mir insbesondere neuerdings alle zu schwach. Außerdem: Absaugen ohne oder mit zu wenig Sog würgt unangenehm. Ich fühle mich ehrlich gesagt aktuell nur sicher, wenn ich immer binnen 2 Minuten ein Gerät mit mindestens 800 mbar Sog erreichen kann.

17. Beim Absaugen kommt es auf die Geschwindigkeit an

Wenn es um die Vorbereitung geht (sterile Handschuhe auspacken und anziehen etc.), ist Geschwindigkeit mir tatsächlich auch wichtig. Während des eigentlichen Vorgangs aber nicht!
Früher haben wir bei der Einarbeitung immer eine Dauer von maximal 15 Sekunden angegeben, dann eine Pause. Da ich inzwischen entweder spontan oder selten auch über die Maschine während des Absaugens atmen kann, liegt die Durchschnittsdauer heute eher bei 45 Sekunden und ich gebe stimmlos auch kurze Anweisungen währenddessen.

Bei meinem letzten Besuch in der Lungenfachklinik habe ich mit einem Assistenzarzt über Fußball gesprochen, während sich der Chefarzt mit einem Bronchoskop meine Luftröhre angeschaut hat.

18. Viel Bewegung (des Katheters) hilft viel

Habt ihr schon mal einen Angler gesehen, der seine Angel wie eine Peitsche über die Wasseroberfläche schleudert, weil der Fisch ja da schon irgendwo sein wird?

19. Absaugen darf nur von Intensivpflegefachkräften durchgeführt werden

Auf der Intensivstation, ja.
Das Absaugen beispielsweise bei mir ist ein Vorgang, der damit nur im entferntesten überhaupt verwandt ist.

Was, wenn ich absaugen muss, geht ist, wenn die Vorbereitung 1 Minute länger dauert, da die persönliche Assistenz noch nicht sehr viel Erfahrung besitzt (Einarbeitung und Übung gibt es natürlich).
Was nicht geht ist, wenn ich absaugen muss und 15 Minuten warten muss, bis die Fachkraft, die gerade an einem ganz anderen Ort und mit einem anderen Patienten beschäftigt war, kommt.

20. NaCl-Inhalationen sind nutzlos oder schädlich

Diese Aussage habe ich in jüngster Vergangenheit häufiger gehört und meine Antwort wäre ein eindeutiges „Jein“.
Der Nutzen hängt wesentlich davon ab, welches Ziel erreicht werden soll.
Inhalationsnebel besteht im Gegensatz zu feuchter Luft aus feinen Flüssigkeitströpfchen, die als Fremdkörper die Schleimhäute reizen können und eine leichte Sekretproduktion anregen. In Verbindung mit dem NaCl ist dieser neue Sekret sehr flüssig und kann bereits vorhandenen, eher trockenen, Sekret besser absaugbar machen. Ich verwende NaCl Inhalation insbesondere gerne, wenn beispielsweise die Assistenz noch unsicher im Absaugen ist.

NaCl-Inhalationen, um Sekretbildung ganz zu verhindern, sind nutzlos. Ebenso die Idee, regelmäßig Sekret zu erzeugen, der vorher nicht da war.

21. Aktivbefeuchtung hilft mehr zur Sekretmobilisation als Inhalieren

Ich habe meine Befeuchtung (für die Nacht) erst seit knapp zwei Jahren und gehe komplett d’accord.
Schade, dass Aktivbefeuchtungen aktuell nicht besonders praktisch für mobilen Einsatz sind.

22. Dauerbeatmung ist am besten mit wenig Spitzendruck und hoher Frequenz

Speziell für Kinder ist das der richtige Startpunkt.
Allgemein erinnern mich die meisten Beatmungseinstellungen da draußen, auch für Erwachsene, allerdings eher an das Hecheln eines Hundes.

Wer damit zurechtkommt, super!
Aber auch tiefe, vergleichsweise lange Atemzüge sind mit einem Beatmungsgerät nicht verboten. Wobei ich das sicherlich komplett auf die Spitze treibe, weil ich eine sehr lange Inspirationsphase (im Moment 4 Sekunden) zum Sprechen präferiere.

23. Der CO2-Wert entscheidet über die richtige Beatmungseinstellung

Warum ich für mich persönlich über die Jahre davon abgekommen bin, habe ich in diesem Artikel Ende 2021 für die „beatmet leben“ dargelegt.
Mögliche Langzeitrisiken gibt es natürlich und sind mir bewusst. Aber immer noch überwiegen die Vorteile gerade im Bereich der Sekretmobilisierung einfach gewaltig. Wir können uns aber einig sein darüber, dass eine solche selbstbestimmte Entscheidung (die vor mir schon viele Menschen getroffen haben) seitens der Betroffenen bis auf die rein medizinischen Langzeitfolgen keinerlei Konsequenz nach sich ziehen darf.

24. Nur der Facharzt darf die Beatmungseinstellungen ändern

Okay, jetzt gegen Ende häufen sich noch einmal meine besonders unpopulären Standpunkte.
In einer perfekten Welt ist das richtig und als Facharzt würde ich auch garantiert nichts anderes sagen (können).
Als Betroffener warte ich jedoch schon seit einigen Jahren nicht mehr auf einen Termin in der Klinik, um beispielsweise bei einer Erkältung die Rampe zu ändern und einen verbleibenden Minimaldruck in der Lunge, sogenannten PEEP, einzustellen. Abgesehen davon, dass eine Lungenklinik während einer Infektionswelle nie mein präferierter Aufenthaltsort sein wird.

Nachdem sie gut mit dem Hilfsmittel vertraut sind, sind die meisten Betroffenen und ihre Angehörigen in der Lage, kurzfristige Änderungen vorzunehmen. Der Beatmungsmodus bleibt natürlich unverändert, alles andere kann an kurzfristige Bedürfnisse angepasst werden. So wähle ich beispielsweise auch für eine längere Vorlesung, die ich halten muss, oder für eine medizinische Behandlung in Seitenlage kurzfristig einen höheren Spitzendruck.

25. Hygiene und Sterilität sind das oberste Gebot

In einem Krankenhaus, ja.
Grundsätzlich bei mir natürlich auch und ich lege darauf bei Einarbeitungen auch großen Wert, aber es gibt Situationen in der Heimbeatmung, in denen Geschwindigkeit in der Vorbereitung wichtiger ist. Ich lasse mich gerne von Hygienefachkräften beraten und meine Abläufe verbessern, aber als persönliche Assistenten fangen auch sie nicht bei mir an, bevor sie zuverlässig innerhalb von 90-120 Sekunden Sekret absaugen können.

26. Beatmungsgeräte dürfen nur mit eigenen externen Akkus betrieben werden

Ich weiß, das ist in Deutschland einfach eine Regel, die man besser nicht näher hinterfragt.

27. Beatmete können keinen Sex haben

Doch und die beiden Dinge haben miteinander so viel zu tun wie die deutsche Nationalmannschaft mit gutem Fußball.

28. Beatmete können/dürfen nicht ins Wasser

29. Beatmete dürfen nur von Intensivpflegefachkräften versorgt werden

Zum Abschluss muss ich leider doch noch einmal ernster werden, denn die letzten beiden Aussagen stammen wieder von einer Privatperson noch von einem Arzt, sondern leider direkt aus dem Gesundheitsministerium.
In der Heimbeatmung ist oberstes Kriterium die Selbstbestimmung des Betroffenen und, wenn gewünscht, insbesondere der Anspruch auf eine 1:1-Versorgung. Sie ist nicht nur eine Sache meiner individuellen Lebensplanung, sondern für mich tatsächlich überlebenswichtig. Eine Klingel drücken o. ä. kann ich körperlich nicht mehr zuverlässig, ebenso wenig stimmhaft sprechen, wenn die Beatmung abfällt.
Eine 1:1-Versorgung aller Beatmeten in Deutschland ausschließlich durch Intensivpflege Fachkräfte ist personell und finanziell derzeit überhaupt nicht realistisch und die Entscheidung, auf welchen Aspekt sie am ehesten verzichten können, liegt bei den Betroffenen und ihren Angehörigen. Auch bei den Pflegekräften. Aber definitiv nicht beim Staat, bei der Krankenkasse oder beim medizinischen Dienst.

30. Damit Beatmete wieder am Leben teilhaben können, müssen sie von der Beatmung entwöhnt werden

Diese Haltung und Motivation zu einem kürzlich in Kraft getretenen Gesetz schmerzt einfach nur noch, weil hier ein Hilfsmittel und eine Behinderung/Einschränkung unbeabsichtigt oder beabsichtigt miteinander vertauscht werden. Meines Erachtens war 1985 das letzte Jahr, in welchem diese Aussage halbwegs legitim gewesen wäre. Wollen wir wirklich die letzten 40 Jahre sozialen, aber vor allem medizinischen und technischen Fortschritts zurückdrehen?

Schreibe einen Kommentar