Ein Königreich für eine Werbung
Foto: Rafael Mika

Ein Königreich für eine Werbung

Ein Geständnis meinerseits zur frühen Stunde: Ich bin eine Nachteule. Lebe wahrscheinlich schon seit 30 Jahren insgeheim in einer amerikanischen Zeitzone und weil ich auch einen US-amerikanischen Pass habe und mich für Politik interessiere, war für mich klar, dass ich heute am (für mich) späten Abend die erste Präsidentschaftsdebatte verfolgen würde.

Wahrscheinlich war dies die schlechteste Entscheidung, die ich in diesem Monat getroffen habe. Und dabei habe ich ein fürchterliches Gewissen, dass ich vorletzte Woche meine Doktorarbeit an den Nagel hängen musste.

Ich werde am kommenden Wochenende etwas hierzu schreiben, auch wenn dies persönlich für mich im Moment ein sehr heißes Pflaster ist und ich nach wie vor die Mathematik wie auch meine ehemaligen Kollegen liebe.

Wenn sich zwei alte Männer zu später Stunde in eurer Gegenwart laut streiten, dabei unverständliches Zeug gemischt mit rechtem Blödsinn durcheinander lallen, war zumindest vor Corona die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihr euch (freiwillig oder unfreiwillig) auf einem Schützenfest befindet. In den Corona-verwüsteten USA nennt sich das stattdessen Präsidentschaftsdebatte.

Diese Zusammenfassung wird extrem kurz ausfallen, denn große Teile der Debatte waren einfach nichts mehr als „unwatchable“. Moderator Chris Wallace von Fox News war weniger parteiisch, als manche es vielleicht erwarten würden, womit ich ihm allerdings auch kein Kompliment machen möchte. Er war mit sämtlichen Aspekten der Moderation einfach nur hoffnungslos überfordert.

Ja, man konnte einen aggressiven Trump erwarten, seine Position in den Umfragen zum aktuellen Zeitpunkt erlaubte von Beginn an keine andere Strategie. Ich gebe zu, auch wenn ich diesen Mann offensichtlich abgrundtief hasse (nein, ich kann keine zivilere oder moderatere Formulierung wählen!), in den Debatten 2016 landete er gegen Hillary Clinton mit dieser Strategie ein paar wirkungsvolle Treffer, beispielsweise zu Arbeitsplätzen, Outsourcing und Freihandel.

Was wir heute bekommen haben, war ein 13-jähriger Halbstarker ohne Freunde und ohne Manieren, der seinen Mitschülern das Geld für die Pausenbrote klaut. Buchstäblich. Es gilt als weithin bekanntes geriatrisches Phänomen, dass Menschen im höheren Alter sich geistig immer weiter an den Beginn ihres Lebens annähern. Dementsprechend hat der mächtigste Mann der westlichen Welt heute offiziell die Hochphase seiner Pubertät erreicht. Ja, sogar inklusive Fäkalwitze („You’re number two indeed“).

Und Biden? Er landete ein paar wirkungsvolle Treffer, die aber auch einfach zu offensichtlich und naheliegend waren. Sonst wirkte er schwach. Gerade der neueste Steuerskandal bot ein Angriffspotenzial, welches praktisch nicht von Biden ausgenutzt wurde. Trotzdem war er, nach einer Umfrage von CBS, knapp der Sieger dieser Debatte. 1:0 durch ein Eigentor in der Nachspielzeit, nachdem das andere Team 90 Minuten lang die Sportart verwechselt und fünf rote Karten kassiert hat (und dabei eigentlich zehn verdient gehabt hätte).

So entstanden auch (sinngemäß) rhetorische und humanistische Perlen wie diese:

Du möchtest alle Amerikaner krankenversichern. Du wirst insgeheim von den Sozialisten gesteuert!

Nein, das stimmt nicht. Keine Sorge, es werden auch unter mir weiterhin Menschen sterben, weil sie sich ihre Therapie nicht leisten können. USA! USA! USA!

Auch zu anderen Themen wandte sich Biden in dieser Debatte aktiv vom eigenen linken Parteiflügel ab, was sich aufgrund der allgemeinen Frustration im Land durchaus noch als Problem erweisen könnte und vor allem völlig unnötig war. Ich weiß, es mag angesichts Veranstaltungen wie dieser unglaubwürdig wirken, aber sozialdemokratische Ideen erfahren auch in den USA Unterstützung! In der Bevölkerung, nicht jedoch in den Medien und in der Politik.

Diese Debatte war nichts als eine Shitshow. Darin sind sich übrigens ausnahmsweise alle politischen Strömungen in den USA einig, selbst dieser prominente Vertreter der amerikanischen „Neuen Rechten“ sei stellvertretend erwähnt:

Es gab übrigens keine Werbeunterbrechung. Dies war leider die volle Dröhnung unverdünnter Realität im Jahr 2020.

In einer Sache war sich zumindest das US-Twitter auch einig: Heute wäre ein guter Tag gewesen, um Marihuana bundesweit zu legalisieren.

Das wäre das mit Abstand beste Resultat aus diesem Tag.

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