Final Call zur US-Wahl 2020

Final Call zur US-Wahl 2020

Kennt ihr diese „Experten“, ob in Sport, Politik, Kultur oder sonst einem Bereich, die ganz kurz vor einer wichtigen Entscheidung in ihrem Metier gefragt werden, eine finale Prognose abzugeben und die dann ihre gesamte Expertise in die Waagschale werfen, um eine fundierte Analyse beizusteuern wie:

Es wird heute auf jeden Fall ein enges Rennen und für beide Seiten sehr schwierig. Schlussendlich wird die Tagesform den Ausschlag geben. Es wird ultimativ darauf ankommen, welche Seite heute die Schwächen des anderen besser auszunutzen weiß …

Danke! Ohne Sie wären wir niemals zu dieser tiefgründigen Erkenntnis gelangt.

Ich kann natürlich verstehen, dass Menschen, die unter öffentlichem Druck stehen, nicht schon wenige Stunden oder gar Minuten später als völliger Depp dastehen wollen. Und Fakt ist nun mal, dass kein seriöser Mensch auf dieser Welt die Zukunft vorhersehen kann.

Die Vorsicht, sich gegen alle Eventualitäten abdecken zu wollen, führt jedoch oft dazu, dass man im Grunde genommen gar nichts Substanzielles aussagt. Zum Teil besteht dieses Phänomen übrigens auch in der Wissenschaft, wobei ich die Vorsicht hier noch gerechtfertigt finde.

Da ich jedoch keine politische Karriere zu verlieren habe, lehne ich mich heute einfach mal aus dem Fenster und gebe hiermit meine Prognose für die in zweieinhalb Tagen stattfindende US-Wahl 2020 ab:

Joe Biden 305 – Donald Trump 233

Wie ich persönlich genau zu diesem Ergebnis komme, habe ich im Titelbild aufgeschlüsselt, wobei Staaten, die an Joe Biden gehen blau gefärbt sind und dementsprechend rot für Donald Trump.

Hiermit wäre Joseph R. Biden – vorausgesetzt, er bleibt gesund und nimmt die Wahl an – ab dem 20. Januar 2021 der 46. US-Präsident.

Gerechnet wurde hier wie auch in meiner Staatenprognose im Titelbild übrigens in Wahlmännern. Archaisches System, welches im 18. Jahrhundert definitiv mehr Berechtigung hatte als heute – schwer zu verstehen finde ich es entgegen der in Deutschland gängigen Meinung allerdings nicht:

Die Anzahl der Wahlmänner, die es in jedem Bundesstaat zu gewinnen gibt, ist fest vorgegeben und dem Titelbild dieses Beitrags zu entnehmen. Innerhalb jedes Staates gilt „Winner takes it all“ – wer die meisten Stimmen innerhalb eines Staates bekommt darf sich den Score für diesen Bundesstaat zugute schreiben. Wirkt ein bisschen wie bei „Risiko“, nicht wahr?

Derzeit (das war historisch nicht immer so) gibt es insgesamt 538 Wahlmänner zu gewinnen – bei (leider) nur 2 aussichtsreichen Kandidaten bedeutet das nach Adam Riese, wer mindestens 270 Wahlmänner erreicht kann nicht mehr eingeholt werden und ist der Sieger. Darum heißt übrigens auch die Seite, mit der ich meine Titelgrafik erstellt habe, 270towin.

Kleine Ausnahmen nur in den beiden Staaten Maine und Nebraska: Hier gewinnt der Kandidat mit den meisten Stimmen in jedem Kongressbezirk sicher einen Wahlmann. Maine hat zwei Kongressbezirke und insgesamt 4 Wahlmänner zu vergeben, Nebraska drei Bezirke und insgesamt 5 Wahlmänner. Somit bleiben in beiden Staaten 2 Wahlmänner übrig, die an den Sieger des Gesamtstaates gehen.

Man kann über die Sinnhaftigkeit des Systems sehr treffend diskutieren und die Ergebnisse dessen waren in den Jahren 2000 und 2016 eher … Naja. Aber ganz ehrlich, unmöglich zu verstehen finde ich es persönlich nicht.

Was Trump zusätzlich gewinnen könnte

Da wir gerade Halloween hatten, lasst dieses Szenario einmal kurz durchspielen. Zusätzlich zu allen Staaten, die in obiger Prognose rot gefärbt sind, gebe ich, in absteigender Wahrscheinlichkeit, Trump eine realistische Chance in den Staaten:

  • Pennsylvania (20)
  • Wisconsin (10)
  • North Carolina (13)
  • Nevada (6)
  • Minnesota (10)

Weiter als das reicht meine Fantasie zwar persönlich nicht, jedoch würde ein Sieg in North Carolina und allen Staaten darüber in der Liste ihn bereits zum Sieger machen (276 gegen 262). Lasst uns dieses Szenario bitte nicht weiter ausmalen.

Was Biden zusätzlich gewinnen könnte

Zusätzlich zu den bereits blau gefärbten Staaten für mich in absteigender Wahrscheinlichkeit:

  • Florida (29)
  • Maine 2. Kongressbezirk (1)
  • Texas (38)
  • Iowa (6)
  • Georgia (16)

Maximal gebe ich Biden hiermit die Aussicht auf 395 Wahlmänner. Was schon sehr komfortabel wäre, aber ganz ehrlich, ich täusche mich gerne. 🙂

Biden – (k)ein Konsenskandidat

Dieser letzte Abschnitt wird wahrscheinlich selbst in meinem Umfeld auf viel Widerspruch stoßen, aber ich muss es trotzdem aussprechen:

Wenn Joe Biden gewinnt – und ich sehe die Wahrscheinlichkeit dafür bei knapp über 80 % – dann ist der primäre Grund dafür, dass sein Gegner Donald Trump heißt.

Zumindest ist es der primäre Grund, weshalb ich ihn unterstütze. Ich mag den Politiker Joe Biden nicht und dies ist auch keine besonders exquisite Meinung von mir. Sie wird von großen Teilen der Linken und Unabhängigen in den USA geteilt.

Wenn Interesse an diesem Artikel besteht, schreibe ich später in diesem Monat im Falle eines Sieges auch mal eine ausführlichere Analyse über den Politiker Joe Biden und meine Erwartungen an sein Regierungsteam – Spoiler: Sie sind nicht sehr hoch.

Ja, es gibt ein paar linke Stimmen, die sich sehr lautstark gegen eine Wahl von Biden aussprechen. Sogar inklusive „Cancel Culture“. Das sind auf sozialen Medien wie Twitter zwar sehr laute Stimmen, aber vergleichsweise doch sehr wenige. Die große Bevölkerungsmehrheit der USA hat sich längst an das archaische Zweiparteiensystem gewöhnt.

Und nein, ich sage es vorweg: Sollte Trump wiedergewählt werden, sind daran definitiv nicht ein paar „oberschlaue“ College-Kids Schuld, denen das System zuwider war und die keinen der beiden Kandidaten guten Gewissens wählen konnten. Auch wenn die Medien euch natürlich dies verkaufen wollen und, wie schon 2016, vielleicht auch die Wähler der Grünen sowie die „Bernie Bros“ verteufeln werden:

Kehrt vor der eigenen Haustür! Wer auch immer verliert (und ja, ich hoffe wirklich es ist Trump, da ich entschieden gegen Faschismus bin), Schuld an der Niederlage ist primär und in allererster Linie das absolut unterirdische Niveau des gesamten Wahlkampfs. Vielleicht noch das politische System der USA generell. Aber ich möchte und werde unter diesen Umständen nicht einer einzelnen Wählergruppe die Schuld für irgendein Ergebnis in die Schuhe schieben.

Joe Biden hat kürzlich seine letzten beiden Wahlwerbespots veröffentlicht – sorry, aber im Vergleich dazu glänzt auch unsere CDU mit politischen Inhalten und konkreten Versprechungen.

Was übrigens nicht heißt, dass ich die beiden (pun intended) Spots strategisch schlecht finde. Ich denke, dass sie in einem Jahr 2020, das jeden Bürger schlimmer zurückgelassen haben dürfte als einen durchschnittlichen Boxer kurz nach einer Niederlage, durchaus den Zeitgeist treffen könnten. Hauptsache zurück zum Normalen, Hauptsache sich nicht mehr täglich aufregen müssen. Ich kann es wirklich verstehen. Nur bitte wundert euch nicht, dass ein Politiker, der schon vor der Wahl nichts aussagt, dann nachher auch nicht viel für euch tut. Dass dieses „nicht viel“ deutlich und entschieden besser ist als mit Vollgeschwindigkeit und einem rassistischen, faschistischen Präsidenten in den Abgrund zu rasen, bedarf keines weiteren Kommentars.

Ich sage schon länger, dass „besser als Trump sein“ eine äquivalente Auszeichnung ist zu „besser als Tim zu sein im Hochsprung“.

Übrigens, für alle die es interessiert: Meine persönliche Ansicht zur Wahl wird für mich am besten von Mike Figueredo, einem linken politischen Kommentator aus Oregon, in diesem Video repräsentiert. Im Video werden auch Argumente vorgetragen vom amerikanischen Literaturwissenschaftler und Intellektuellen Noam Chomsky gezeigt – ich kann wirklich nur eine wärmste Empfehlung für dieses 28-minütige Video aussprechen, wenn ihr die entsprechende Zeit findet. Ich denke, dass es die Empfindung einiger politisch interessierter junger Menschen in den USA ganz treffend repräsentiert.

Disclaimer 1: Meine Sicherheit was genau die obige Prognose betrifft ist ziemlich unterirdisch – die Wahrscheinlichkeit, jeden Staat richtig zu raten, entspricht ungefähr einem Lottogewinn. Die Prognose ist auch erheblich konservativer als die der meisten US-Medien. Viele Analysten sind zugegebenermaßen voreingenommen. Ich auch, weshalb ich es für fairer halte, dass ich wie in diesem Beitrag zu meiner fehlenden Neutralität stehe. Personen, die beide Kandidaten in der anstehenden Wahl mögen, gibt es vermutlich auf der ganzen Welt keine (wenn ihr jemanden kennt, ich möchte diese Person, die Biden UND Trump sympathisch findet, unbedingt kennenlernen!) – also ist meine beste Chance, mich auf Quellen zu berufen, von denen ich sicher weiß, dass sie beide Kandidaten nicht leiden können.

Disclaimer 2: Kein unabhängiger Blogger auf der Welt wird in der Lage sein, eine umfassende Analyse zur Wahl zu schreiben, die jedem Aspekt gerecht wird. Die USA 2020 sind als Thema selbst für eine Doktorarbeit zu umfassend (und bin ich nicht gerade erst an einer gescheitert?). Ich bin aber gerne bereit, meine Ansicht zu spezifischen Fragen mit euch zu teilen, solange ich zu dem Thema irgendwas beitragen kann.

Die Ergebnisse werden übrigens in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch eintrudeln – und zwar von Ost nach West aufgrund der Zeitzonendifferenz. Ich werde dabei die gemeinsame Übertragung der amerikanischen Kommentatoren Joe Rogan und Kyle Kulinski (Ersterer politisch eher unabhängig, Letzterer überzeugter Sozialdemokrat) anschauen. Sollte in etwa meine Prognose eintreten, erwarte ich gegen 4:00 Uhr eine Entscheidung.

Also relativ früh für einen, der um 7:30 Uhr morgens noch einen Blog schreibt und noch nicht schlafen gegangen ist. 🙂

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. erotik izle

    If you want to use the photo it would also be good to check with the artist beforehand in case it is subject to copyright. Best wishes. Aaren Reggis Sela

  2. erotik izle

    Whoah this blog is excellent i like reading your posts. Enriqueta Leonard Glanville

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