Möchte mich wieder auf meine Stärken konzentrieren. Weiß leider nicht wie.

Möchte mich wieder auf meine Stärken konzentrieren. Weiß leider nicht wie.

Ratgeber-Blogs existieren im letzten Jahrzehnt wie Sandkörner am Meer:

  • Wie baue ich ein Karrierenetzwerk auf?
  • 54 Tipps, wie Sie einen Partner finden
  • Gesünder essen, gesünder leben, so geht’s
  • Wie Sie sich selbst lieben lernen
  • 10 Tipps, wie Sie wieder glücklich werden
  • Alltag mit Behinderung: So wird’s gemacht!
  • usw.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich habe nichts gegen dieses Genre an Blogbeiträgen! Habe ich doch selber mehrfach und gerne und aus voller Überzeugung Beiträge dieser Natur, wenn auch zumeist von anderen Blogger/-innen, geteilt.

Umgekehrt stellt sich mir daher die Frage, ob dieser Beitrag überhaupt Sinn ergibt. Wollen andere Menschen wirklich lesen, was ein Mensch zu sagen hat, der in wesentlichen Fragen des Lebens zutiefst agnostisch ist? Der offen weiß, dass er zu vielen großen Fragen des Lebens eben exakt – nichts weiß?

Ich bin depressiv, mit dieser Tatsache bin ich bereits in diesem Blog offen umgegangen. Leider beinhaltet der vorangehende Hauptsatz dieses Statements (zumindest für mich persönlich) im Wesentlichen schon die Tatsache, dass ich leider auf keine der oben aufgezählten Fragen eine ehrliche und, für mich, befriedigende Antwort gefunden habe.

Dementsprechend muss ich auch gestehen, dass dieser Text für einige Tage liegen geblieben ist und leider entsprechend an Aktualität etwas verloren hat, es tut mir wirklich leid. Dennoch möchte ich ihn heute finalisieren, und sei es für niemanden anderes als für mich selbst.

Schon länger wollte ich einen ergänzenden Text zu meiner Depression schreiben. Es wird vielleicht jetzt nicht die damals von mir visionierte Abhandlung werden, aber einen Wert hat dieser Text für mich hoffentlich dennoch.

Diese Woche (also in der Woche, in der ich anfing, diesen Text zu schreiben) trendete #FaceTheDepression auf Twitter. Diverse Freunde von mir, stellvertretend sei an dieser Stelle Sarah George genannt, haben sehr mutig ihre Geschichte erzählt und so ganz verschweigen möchte ich dieses Thema auch nicht. Speziell soll es allerdings heute um die Frage gehen:

An seinen Schwächen arbeiten oder sich auf seine Stärken besinnen?

Ratgeber-Blogs finden auf diese Frage nach meinem Kenntnisstand erstaunlich wenig Antworten. Die häufigste Antwort ist: Beides. Eine Antwort, die ich jedoch für mich als zutiefst unbefriedigend empfinde und das nicht nur, weil ich (männertypisch, ich weiß) notorisch multitaskingunfähig bin.

Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie erwiesenermaßen gut können.

Stellvertretend genannt, diverse Therapeut/-innen

Arbeite noch an deinen Schwächen, dann wirst du schon früher oder später dein Glück finden.

Stellvertretend genannt, diverse Freunde

Ich schätze alle Menschen sehr, die diese Ratschläge geben. Aber ist es schlimm, wenn Mensch sich offen eingestellt, dass es sich zumindest in einem begrenzten Zeitraum bei begrenzter körperlicher und mentaler Energie hierbei um ein exklusives „Oder“ handelt?

Quo vadis, mathematicus?

Viele Leser dieses Blogs werden meinen Hintergrund bereits kennen, für die anderen jedoch sei nur ganz kurz umrissen: Ich war als Kind bereits völlig fasziniert von Zahlen und habe, für exakt n=0 Individuen aus meinem Umfeld überraschend, die akademische Laufbahn am Fachbereich Mathematik eingeschlagen. Als Schüler war ich leidenschaftlicher Teilnehmer von Landes- und Bundeswettbewerben Mathematik (obwohl ich zu dieser Zeit auch anderen Leidenschaften wie Brett- und damals auch Videospielen sowie etwas Programmierung nachgegangen bin) und auch Bachelor- und, mit etwas Verzögerung, selbst das Masterstudium habe ich ohne größere Rückschläge hinter mich gebracht.

Für alle in meinem Umfeld erschien es demnach folgerichtig, dass ich eine Promotion im Fach Mathematik anstrebe. Es erschien 2014/15 für mich der einfachste weiteren Lebensweg zu sein, auch wenn ich die Menschen in meinem Umfeld schon damals eindringlichst gewartet habe, dass die Vokabel „einfach“ in Bezug auf eine Promotion im Fach Mathematik völlig fehl am Platz ist. Nichts im Leben darf und sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Erst dann kann man auch auf seine eigene Leistung richtig stolz sein, wenn man sie trotzdem vollbracht haben sollte.

Lange Rede kurzer Sinn: Ich habe meine Promotion in Münster im 2. Versuch im vergangenen September abgebrochen. meine Begeisterung für inhaltliche Fragen hat über die letzten 2 Jahren leider merklich nachgelassen und andere Wünsche, Bedürfnisse und auch einfach Alltagspflichten rückten, teils freiwillig teils unfreiwillig, in meinem Leben immer mehr in den Vordergrund.

Ich möchte nicht direkt sagen, seither die Entscheidung zu bereuen, dafür waren sowohl die objektive Lage in meiner Promotion im vergangenen Sommer zu aussichtslos als auch meine psychische Verfassung zu schlecht. Zudem halte ich mich auch heute, ein halbes Jahr später, noch nicht imstande, vom bloßen Arbeitspensum her einem Unialltag ansatzweise gerecht werden zu können. Und das, obwohl ich mich in der Zwischenzeit auf verschiedene Antidepressiva habe einstellen lassen (Details hierzu gerne persönlich, weniger gerne öffentlich).

Aber trotzdem fehlt mir meine Mathematik quasi als unendlich-dimensionale Spielwiese. Eine Spielwiese, auf der man immer Neues entdecken kann und, vor allem, hierzu rein körperlich oder von den örtlichen Voraussetzungen her nichts können muss. Außer denken.

Gut, dass Letzteres in den letzten Monaten in Teilen Deutschlands schwer aus der Mode gekommen zu sein scheint, anderes Thema …

Zurück in die Mathematik gehen hätte für mich gefühlt etwas davon, mich wieder auf meine Stärken zu besinnen. Auch, weil ich vor allem festgestellt habe, dass ein Umstieg beispielsweise in die IT derzeit meine Belastbarkeit, leider, wahrscheinlich überstrapazieren würde und mein Interesse in die Informatik zwar auch vorhanden ist, allerdings eher von sehr theoretischer Natur. Arbeit mit dem Computer frustriert mich genauso wie 99 % der Bevölkerung wahrscheinlich. 😉

Dass meine beiden Bewerbungen in der Medienbranche und auf eine politische Referentenstelle kommentarlos verworfen wurden, an dieser Stelle geschenkt, hierfür habe ich vollstes Verständnis. Ich bin halt leider in meinem bisherigen Lebenslauf noch nicht in freier Wildbahn außerhalb von Schule oder Uni unterwegs gewesen.

Allerdings haben verschiedene Professoren, die ich sehr schätze, mir ehrlich und unverblümt mitgeteilt, dass mein Zug für eine Karriere in der Mathematik über die Promotion hinaus abgefahren sein dürfte. Ich sehe auch selber, wie sich die Anforderungen an eine akademische Laufbahn in den letzten Jahren gewandelt haben und kann nüchtern feststellen, nicht oder nicht länger in dieses Schema zu passen. Als Wissenschaftler stehe ich auch voll und ganz hinter dem Leistungsprinzip speziell in Bezug auf die Forschung und überlasse sehr gerne hochtalentierten, vitalen Jungspunden das Feld!

Die Alternative wäre der sofortige Sprung ins kalte Wasser. In eine Welt außerhalb der geschützten Universität, in eine Welt in der ich bislang wahrscheinlich, leider, objektiv betrachtet bislang mehr durch meine Behinderung aufgefallen bin als durch individuelle Leistung. Eine Welt, in der ich, so ehrlich bin ich auch mit mir, noch sehr viele Schwächen besitze.

Viele Menschen haben mir in den letzten Wochen geraten, ich solle beides parallel machen, zurück in die Mathematik und mich gleichzeitig nach Alternativen für die Zeit nach einer vielleicht erfolgreichen Promotion umsehen. Ganz ehrlich: Dieser Mittelweg klingt im ersten Moment vernünftiger, als er ist. Als ich versuchte, diese Dinge zu balancieren über die letzten Jahre, ging es mit meinem Fortschritt in der Promotion bergab und der Frust wurde dementsprechend größer. Eine erfolgreiche Promotion, sofern sie zu diesem Zeitpunkt noch möglich ist (leider auch kein Selbstverständnis), erfordert nicht weniger als meine volle mentale Aufopferung.

Vielleicht ist mein Problem nicht einmal, viele Dinge nicht zu können. Ich kann neben der Mathematik ganz vernünftig meinen Alltag organisieren, kann verreisen, kann mir einen Freundeskreis aufbauen, meine politischen Überzeugungen kommunizieren, vernünftig kochen und viele Freunde finden auch, ich könne gut zuhören und Empathie zeigen. Das Hauptproblem ist viel eher, dass ich alle diese Dinge nicht gleichzeitig kann und leider auch nicht so wirklich im Abstand von, sagen wir, nur einer Stunde.

Dieser Moment hat mein Denken verändert

Als ich vor 15 Tagen an Anna Koschinskis sehr schönen Idee einer Blognacht teilgenommen habe, war die übergeordnete Inspiration für unsere Artikel eine etwas längere Version dieser Absatzüberschrift.

Der Moment, der mein Denken und meine Herangehensweise nachhaltig veränderte war im Nachhinein Sonntag, der 15. November 2009. Ein Tag, an dem für außenstehende Beobachter nichts Außergewöhnliches passierte, aber es war der Tag, an dem ich meinen ersten schweren Absturz in die Depression erlebte. vielleicht im Nachhinein betrachtet auch der Tag, ab dem ich andere Wünsche und Gedanken priorisierte und nicht mehr den Anspruch hatte, Überflieger in der Mathematik zu sein. Früher oder später geht es ohne diesen, manchmal sogar überzogenen, Ehrgeiz dann in einer Wissenschaft leider auch zwangsläufig bergab.

Ab diesem besagten Sonntag galt mein wahres Interesse Bereichen, die mit Fug und Recht als meine Schwächen galten und noch heute sind. Ich wollte auf einmal Freunde haben und mit anderen Studenten feiern gehen, auch wenn ich keinen blassen Schimmer davon hatte und noch heute habe, wie ich das konkret bewerkstelligen und Menschen ansprechen sollte. Ich wollte verreisen, auch wenn das zu dem Zeitpunkt im Studium noch nicht angesagt war und die Organisation mit relativ frischer persönlicher Assistenz mich damals noch überforderte, erst ab März 2012 habe ich es dann tatsächlich geschafft:

Am 16. März 2012 vor dem Brandenburger Tor.

Ich wollte mich außerdem verlieben, auch wenn ich bei einem tatsächlichen Date damals wahrscheinlich kein einziges Wort herausgebracht hätte. Das ist nicht mal eine Übertreibung.

Nur der Überflieger in Mathematik wollte ich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wirklich sein und konsequenterweise war ich es auch nicht mehr. Und wie es leider ist, wenn Mensch sich mehr mit seinen/ihren Schwächen als mit den Stärken beschäftigt, man wird zunehmend immer wieder und immer weiter frustriert. Es waren ja schließlich nicht umsonst Schwächen.

Heute wäre mir ganz ehrlich eine Rückbesinnung auf die Stärken lieber. Der mürrisch pubertierende Jugendliche, der in seine Strategiespiele versunken von Menschen nichts wissen will, wirkt merkwürdigerweise mit zunehmendem Alter wieder attraktiver auf mich.

Aber das ist auch nur übertriebenes Schöndenken einer anderen, ebenfalls schwierigen, Zeit und außerdem bin ich heute für diesen Quatsch zu alt. Genauso wie, ehrlich und realistisch betrachtet, für eine Laufbahn in der mathematischen Forschung. Und für alles andere irgendwie auch, für das ich nicht noch zu jung bin. 😉

Hach, wenn es doch nur eine typische „Quarterlife crisis“ wäre, aber dafür müsste ich 128 Jahre alt werden und das möchte ich nicht.

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